»Was kann man nun von einem Menschen... erwarten? Überschütten Sie ihn mit allen Erdengütern, versenken Sie ihn in Glück bis über die Ohren, bis über den Kopf, so daß, an die Oberfläche des Glücks wie zum Wasserspiegel nur noch Bläschen aufsteigen, geben Sie ihm ein pekuniäres Auskommen, daß ihm nichts anderes zu tun übrigbleibt, als zu schlafen, Lebkuchen zu vertilgen und für den Fortbestand der Menschheit zu sorgen - so wird er doch, dieser selbe Mensch, Ihnen auf der Stelle aus purer Undankbarkeit, einzig aus Schmähsucht einen Streich spielen. Er wird sogar die Lebkuchen aufs Spiel setzen und sich vielleicht den verderblichsten Unsinn wünschen, den allerunökonomischsten Blödsinn, einzig um in diese ganze positive Vernünftigkeit sein eigenes unheilbringendes phantastisches Element beizumischen. Gerade seine phantastischen Einfälle, seine banale Dummheit wird er behalten wollen... «
Diese Worte stammen aus der Feder des Mannes, den Friedrich Nietzsche für den größten Psychologen aller Zeiten hielt: Fedor Michailowitsch Dostojewski. Und doch drücken sie, wenn auch in beredeter Sprache, nur das aus, was die Volksweisheit seit eh und je weiß: Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen.
Es ist höchste Zeit, mit dem jahrtausendealten Ammenmärchen aufzuräumen, wonach Glück, Glücklichkeit und Glücklichsein erstrebenswerte Lebensziele sind. Zu lange hat man uns eingeredet - und haben wir treuherzig geglaubt, daß die Suche nach dem Glück uns schließlich das Glück bescheren wird.
Dabei ist der Begriff des Glücks nicht einmal definierbar. So wurden zum Beispiel die Hörer der 7. Folge des Abendstudios des Hessischen Rundfunks im September 1972. Zeugen der zweifellos befremdenden Diskussion zum Thema »Was ist Glück? «, in deren Verlauf es vier Vertretern verschiedener Weltanschauungen und Disziplinen nicht gelang, sich auf die Bedeutung dieses scheinbar so selbstverständlichen Begriffs zu einigen - und das trotz der Bemühungen des eminent vernünftigen (und geduldigen) Gesprächsleiters.
Das sollte uns eigentlich nicht überraschen. »Worin das Glück besteht, darüber waren die Meinungen immer geteilt«, lesen wir in einem Essay des Philosophen Robert Spaemann über das glückliche Leben, 289 Ansichten zählte Terentius Varro und ihm folgend Augustinus. Alle Menschen wollen glücklich sein, sagt Aristoteles.« Und Spaemann erwähnt dann die Weisheit eines jüdischen Witzes vom Sohn, der dem Vater eröffnet, er wolle Fräulein Katz heiraten. »Der Vater widerspricht. Fräulein Katz bringe nichts mit. Der Sohn erwidert, er könne nur mit Fräulein Katz glücklich sein. Darauf der Vater: >Glücklich sein, und was hast du schon davon?<«
Die Weltliteratur allein schon hätte uns längst mißtrauisch machen sollen. Unglück, Tragödie, Katastrophe, Verbrechen, Sünde, Wahn, Gefahr das ist der Stoff, aus dem die großen Schöpfungen bestehen. Dantes Inferno ist ungleich genialer als sein Paradiso; dasselbe gilt für Miltons Paradise Lost, demgegenüber Paradise Regained ausgesprochen fade ist; Jedermanns Sturz reißt mit, die ihn schließlich rettenden Engelchen wirken peinlich; Faust 1 rührt zu Tränen, Faust II zum Gähnen.
Machen wir uns nichts vor: Was oder wo wären wir ohne unsere Unglücklichkeit? Wir haben sie bitter nötig; im wahrsten Sinne dieses Wortes.
Unseren warmblütigen Vettern im Tierreich geht es nicht besser: Man besehe sich nur die monströsen Wirkungen des Zoo-Lebens, das jene herrlichen Kreaturen vor Hunger, Gefahr und Krankheit (einschließlich Zahnfäule) schützt und damit zu den Entsprechungen menschlicher Neurotiker und Psychotiker macht.
Unserer Welt, die in einer Flutwelle von Anweisungen zum Glücklichsein zu ertrinken droht, darf ein Rettungsring nicht länger vorenthalten werden. Nicht länger darf das Verstehen dieser Mechanismen und Prozesse die eifersüchtig gehütete Domäne der Psychiatrie und der Psychologie bleiben.
Die Zahl derer, die sich ihr eigenes Unglück nach bestem Wissen und Gewissen selbst zurecht-zimmern, mag verhältnismäßig groß scheinen. Unendlich größer aber ist die Zahl derer, die auch auf diesem Gebiet auf Rat und Hilfe angewiesen sind. Ihnen sind die folgenden Seiten als Einführung und Leitfaden gewidmet.
Diesem altruistischen Vorhaben kommt aber auch staatspolitische Bedeutung zu. Wie die Zoodirektoren im kleinen, so haben es sich die Sozialstaaten im großen Maßstabe zur Aufgabe gemacht, das Leben des Staatsbürgers von der Wiege bis zur Bahre sicher und glücktriefend zu gestalten. Dies ist aber nur dadurch möglich, daß der Staatsbürger systematisch zur gesellschaftlichen Inkompetenz erzogen wird. In der gesamten westlichen Welt steigen daher die Staatsausgaben für das Gesundheits- und Sozialwesen von Jahr zu Jahr immer steiler an. Wie Thayer zeigte, schnellten diese Ausgaben in den USA zwischen 1968 und 1970 um 34% von 11 auf 14 Milliarden Dollar. Neueren bundesdeutschen Statistiken ist zu entnehmen, daß die täglichen Staatsausgaben für das Gesundheitswesen allein 450 Millionen DM betragen und sich damit seit 1950 verdreißigfacht haben. Es gibt in der Bundesrepublik zehn Millionen Kranke, und der westdeutsche Normalverbraucher nimmt im Laufe seines Lebens 36000 Tabletten ein.
Man stelle sich nun vor, wie es um uns stünde, wenn dieser Aufwärtstrend zum Stocken käme oder gar rückläufig würde. Riesige Ministerien und andere Monsterorganisationen brächen zusammen, ganze Industriezweige gingen bankrott, und Millionen von Menschen wären arbeitslos.
Zur Vermeidung dieser Katastrophe will das vorliegende Buch einen kleinen, verantwortungsbewußten Beitrag leisten. Der Sozialstaat braucht die stetig zunehmende Hilflosigkeit und Unglücklichkeit seiner Bevölkerung so dringend, daß diese Aufgabe nicht den wohlgemeinten, aber dilettantischen Versuchen des einzelnen Staatsbürgers überlassen bleiben kann. Wie in allen anderen Sparten des modernen Lebens ist auch hier staatliche Lenkung vonnöten. Unglücklich sein kann jeder; sich unglücklich machen aber will gelernt sein, dazu reicht etwas Erfahrung mit ein paar persönlichen Malheurs nicht aus.
Doch selbst in der einschlägigen, das heißt hauptsächlich psychiatrischen und psychologischen Literatur sind dementsprechende Hinweise und brauchbare Informationen sehr dünn gesät und meist ganz unbeabsichtigt. Soweit mir bekannt ist, haben sich nur wenige meiner Kollegen an dieses heiße Eisen herangewagt. Rühmliche Ausnahmen sind die Frankokanadier Rodolphe und Luc Morisette mit ihrem Petit manuel degu~rilla matrimoniale, Guglielmo Gulottas Commedie e drammi nel matrimonio [~]; Ronald Laings Knoten, und Mara Selvinis Der entzauberte Magier , in dem die berühmte Psychiaterin nachweist, wie das Groß-System Schule das Scheitern des Schulpsychologen braucht, um sich nicht ändern zu müssen und weiterhin mehr desselben tun zu können. Ganz besondere Erwähnung verdienen ferner die Bücher meines Freundes Dan Greenburg, How to be a Jewish Mot her [~] * und How to Make Yourself Miserable [6], jenes bedeutenden Werkes, das von den Kritikern als die freimütige Untersuchung gefeiert wurde, »die es hunderttausend Menschen ermöglicht hat, ein wahrhaft leeres Leben zu leben«. Und last
* Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei hier des Autors einleitende Feststellung zitiert, wonach »eine jüdische Mutter weder jüdisch noch Mutter zu sein braucht. Auch eine irische Kellnerin oder ein italienischer Friseur kann eine jüdische Mutter sein.
but not least sind hier die drei bedeutendsten Vertreter der britischen Schule zu erwähnen: Stephen Potter mit seinen »Upmanship«-Studien; Lawrence Peter, der Entdecker des »Peter-Prinzips«, und schließlich der weltberühmte Autor des nach ihm benannten Gesetzes: J. Northcote Parkinson .
Was das vorliegende Buch zusätzlich zu diesen ausgezeichneten Studien bieten möchte, ist eine methodische, grundlegende und auf Jahrzehnten klinischer Erfahrung beruhende Einführung in die brauchbarsten und verläßlichsten Mechanismen der Unglücklichkeit. Trotzdem aber dürfen meine Ausführungen nicht als erschöpfende und vollständige Aufzählung betrachtet werden, sondern nur als Leitfaden oder Wegweiser, der es den begabteren unter meinen Lesern ermöglichen wird, ihren eigenen Stil zu entwickeln.
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